Analyse: Passt Entrepreneurship in den Unterricht?
Was sollen Kinder und Jugendliche im 21. Jahrhundert in der Schule lernen? Auf Lesen, Schreiben und Rechnen können sich vermutlich alle Beteiligten immer noch einigen, doch wie sieht es mit unternehmerischen Kompetenzen aus? Mit dieser Frage beschäftigte sich Anna Schanze und nahm dabei insbesondere die angehenden Lehrer:innen in den Fokus.
Für ihre Masterarbeit an der Hochschule Merseburg im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften analysierte sie die Entrepreneurship Education in der Lehrer:innenausbildung in Sachsen-Anhalt. Die Idee dazu entwickelte sie als Werkstudentin bei Univations.
„Durch meine Arbeit bei Univations habe ich vom EntreComp-Modell erfahren“, sagt Anna Schanze. Dahinter verbirgt sich das Entrepreneurship Competence Framework der Europäischen Kommission. Ein EU-weiter Kreis von Expert:innen identifizierte 15 Schlüsselkompetenzen, die Menschen unter anderem befähigen, selbstbestimmter ins Tun zu kommen oder Krisen besser zu managen.
Fokus auf die Lehrer:innenausbildung in Sachsen-Anhalt
Seit der Veröffentlichung 2016 gehört Univations zu den Erstanwender:innen von EntreComp. Zahlreiche Projekte, an denen das Unternehmen beteiligt ist, basieren auf dem Referenzrahmen. So auch die EU-Projekte Piete und YETI, die sich bereits mit der Vermittlung der Kompetenzen in der Lehrer:innenausbildung auseinandersetzen.
„Dass Entrepreneurship als Kompetenz verstanden werden kann und das Ganze dadurch eine emanzipatorische Perspektive erhält, war für mich ein total spannendes Konzept“, sagt Anna Schanze. „Ich wollte schauen, inwieweit Lehrerinnen in Sachsen-Anhalt eine Vorstellung davon haben, was Entrepreneurship oder der Entrepreneurship-Education-Ansatz ist und ob sie auch schon mal etwas von dem EntreComp-Modell gehört haben.“
Die Literaturrecherche der 32-Jährigen zeigte, dass es Untersuchungen im europäischen Raum gibt, die sich auf Entrepreneurship Education in der Schulbildung beziehen, doch nur ganz wenige mit Erkenntnissen aus Deutschland. Klar wurde trotzdem: Teil des Lehrplans an deutschen Schulen ist die Vermittlung nicht. Vielmehr hängt sie davon ab, welche Bedeutung die Lehrer:innen dem Thema beimessen. Und, die Vorarbeit zeigte auch, dass es Vorbehalte gegenüber betriebswirtschaftlichen Themen in der Schule gibt.
Vorbehalte gegenüber Wirtschaftsthemen in der Schule
Für ihre Masterarbeit führte Anna zunächst Befragungen und dann Gruppen-Diskussionen durch. Eine nur mit Lehrer:innen im Vorbereitungsdienst und eine mit den Ausbilder:innen. Nachdem sich die Akquise anfangs schwierig gestaltet hatte, waren die Diskussionsfreude und das Engagement der tatsächlich Teilnehmenden umso größer.
Dabei bestätigte sich unter anderem, dass die Befragten Entrepreneurship Education besonders dann positiv wahrnehmen, wenn es nicht so stark in einen betriebswirtschaftlichen Kontext gestellt wird. Gleichgesetzt mit Selbstkompetenz oder Vermittlung eines Selbstkonzeptes waren die Akzeptanz und das Verständnis deutlich höher.
Kritik gab es an der Komplexität des EntreComp-Modells und des zu hohen Anspruchs. Eine Herausforderung, die auch die Wissenschaftlerin nach ihren Untersuchungen sieht. „Die Lehrer:innenausbildung wird gerade von allen Seiten als der Punkt angesehen, an dem das Schulsystem verändert werden muss, damit sich alle Bildungsprobleme lösen. Es ist schade, dass ich mit dieser Diskussion scheinbar noch etwas obendrauf setze, dabei hat Entrepreneurship Education so viel Potenzial“, sagt Anna Schanze.
Notwendig: Entrepreneurial Mindset
Auf die Frage, wie Entrepreneurship Education trotzdem in die schulische Bildung integriert werden kann, nannten die Teilnehmenden der Explorationsstudie verschiedene Ansätze. „Von privaten Angeboten außerhalb des Schulsystems bis hin zur Integration in die Grundsatzbände der Schulen oder die einzelnen Lehrpläne war alles dabei“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin.
In Bezug auf die Lehrer:innenausbildung habe sich die Frage aufgetan, was die Lehrer:innen im Vorbereitungsdienst benötigen würden, um die unternehmerischen Kompetenzen zu vermitteln. „In der Theorie und Didaktik müssten sie geschult werden, aber das Grundlegende ist, dass sie selbst dieses Entrepreneurial Mindset haben“, schätzt Anna Schanze ein.
Sie glaubt, dass das EntreComp-Modell grundsätzlich hilfreich und sinnvoll ist, um Schüler:innen zu befähigen, mit den Herausforderungen unserer Zeit umzugehen. Sich eigene Projekte ausdenken. Pläne erstellen. Miteinander in Konflikt gehen und vor allem zu lernen, diese auch als Gruppe zu lösen – die Vermittlung dieser Kompetenzen erfordere laut Anna Schanze einen ganz anderen Unterrichtsaufbau.
Masterarbeit bietet Potenzial für mehr
Auf ihre Fragen zum Thema konnte sie gute Antworten finden. Regelmäßiges Feedback gab es während der Arbeitsphase auch durch Sandra Bier vom Univations-Team. Abschlussnote der Masterarbeit: 1,2. Potenzial hätten die Ergebnisse nach Annas Einschätzung sowohl für die Ausrichtung der Lehrer:innenausbildung als auch für Weiterbildungen oder weitere Forschungen.
Was sie nach ihren Erkenntnissen den Lehrkräften in Sachsen-Anhalt wünscht? Mehr Freiräume und Unterstützung, um sich mit den eigenen Kompetenzen auseinanderzusetzen. „Und den Menschen, die sich darüber Gedanken machen, wie Lehrer:innenbildung funktionieren sollte, würde ich wünschen, sie würden sich vom bisherigen Bild von Schule verabschieden“, sagt Anna Schanze. „Schule sollte ein Lebens- und ein Lernraum sein, in dem es darum geht, sich der modernen Gesellschaft zu nähern, anstatt an einem Kanon an Unterrichtsinhalten und Traditionen festzuhalten.“
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